andersberater:innen-Logbuch #KW41: Impressionen vom Entrepreneurship Summit 2025


Wohnraum radikal neu denken – Räume, Regeln, Revolution

Ein Rückblick auf eine bewegte Diskussion beim Entrepreneurship Summit 2025

Wohnen: ein drängendes Thema, das niemanden kaltlässt

Deutschland steckt mitten in einer Wohnraumkrise. Bezahlbarer, nachhaltiger und lebenswerter Wohnraum fehlt an allen Ecken – nicht nur in den Metropolen, sondern auch in Mittelstädten und auf dem Land. Hohe Baukosten, starre Regularien, fehlende Flächen und steigende Zinsen verschärfen die Situation. Doch zugleich entstehen neue Impulse: gemeinschaftliche Wohnprojekte, serielle Holzbauweisen, digitale Planungsprozesse und mutige politische Ideen. (>> hier geht es zum Videomitschnitt der gesamten Veranstaltung)

Genau hier setzte unsere Talkrunde „Wohnraum radikal neu denken – Räume, Regeln, Revolution“ an, die am 12. Oktober 2025 auf dem Entrepreneurship Summit in Berlin stattfand. Als Architekt, Moderator und Mitglied der Andersberater Berlin durfte ich gemeinsam mit Expert:innen aus Architektur, Stadtplanung, Politik, Start-ups und Wohnungswirtschaft darüber sprechen, wie wir das Wohnen von morgen gestalten können – bezahlbar, nachhaltig und menschenzentriert.

Räume, Regeln, Revolution – mehr als nur Schlagworte

Der Titel war bewusst programmatisch gewählt. „Räume“ stehen für das, was unser Zusammenleben prägt – unsere Nachbarschaften, Lebensqualität und Teilhabe, aber auch für die Frage nach der der für menschenwürdiges Wohnen Mindestfläche einer Wohnung. „Regeln“ symbolisieren die Strukturen, die oft Fortschritt verhindern, obwohl sie Stabilität sichern sollen (>> Gebäudetyp E für „Einfach“ lässt hier grüßen). Und >> „Revolution“ verweist auf den Mut, den wir brauchen, um diese Strukturen neu zu denken.

Es ging also nicht um kleine Reformen, sondern um die Frage: Wie schaffen wir ein Bau- und Wohnsystem, das zukunftsfähig ist – sozial, ökologisch und ökonomisch zugleich?

Zwischen Idealismus und Realität

Die Diskussion war geprägt von einem produktiven Spannungsfeld: Idealistische Visionen trafen auf praktische Hürden. Schnell wurde klar, dass es in Deutschland kein Erkenntnis-, sondern ein Umsetzungsproblem gibt. Die Werkzeuge für nachhaltiges Bauen sind längst da – von modularen Holzsystemen über digitale Planungsmodelle bis zu partizipativen Entwicklungsprozessen. Doch viele Projekte scheitern an Genehmigungen, Förderrichtlinien oder Angst vor Neuem.

So verlockend radikales Denken manchmal sein mag, „am Ende muss aber immer noch ein anständiges Haus dabei herauskommen!“ – Jörg Gustav Haertwig.

Dieser Satz erinnert daran, worum es im Kern geht: Menschenwürdige, funktionale und schöne Lebensräume zu schaffen. Technologie und Innovation sind Mittel zum Zweck, nicht Selbstzweck.

Digitalisierung als Werkzeug, nicht Wundermittel

Auch über die Digitalisierung wurde als eine von vielen Stellschrauben diskutiert. Building Information Modeling (BIM), KI-gestützte Entwürfe und automatisierte Bauprozesse können enorme Effizienzgewinne bringen – wenn sie richtig eingesetzt werden.

Digitalisierung kann Planungs- und Bauprozesse revolutionieren – aber nur, wenn sie mit einem neuen Werteverständnis verknüpft ist: weniger Ressourcenverbrauch, mehr Transparenz, mehr Menschlichkeit.

Bauwende als Gemeinschaftsaufgabe

Ein zentrales Thema der Veranstaltung war die Bauwende – also der Umbau hin zu einer sozial und ökologisch nachhaltigen Baukultur. Sie kann nur gelingen, wenn wir Bauen als Gemeinschaftsaufgabe verstehen.

Das bedeutet, Ressourcen in Kreisläufen zu denken, Materialien wiederzuverwenden und Quartiere so zu planen, dass sie wandelbar bleiben. Es bedeutet auch, Menschen aktiv einzubeziehen, statt sie am Ende nur als Nutzende zu betrachten.

Ein gemeinschaftliches Wohnprojekt in Brandenburg (das Kodorf in Wiesenburg) organisiert sich selbst – mit regionalem Holzbau, solidarischer Finanzierung und offener Nachbarschaftsstruktur. Solche Projekte beweisen, dass Alternativen längst existieren, wenn man sie lässt.

Politik und Mut zur Veränderung

Ohne mutige politische Weichenstellungen aber bleibt vieles Theorie.
Ob Bodenpolitik, Bauordnung oder Förderlogik – derzeit blockieren viele gut gemeinte Regelwerke die dringend notwendige Transformation.

Gerade auf dem Entrepreneurship Summit wurde deutlich, wie wichtig es ist, dass Gründer:innen, Architekt:innen und Politiker:innen Allianzen schmieden. Die Bauwende braucht Innovationsgeist – und der entsteht dort, wo Menschen unterschiedlicher Hintergründe zusammenkommen und gemeinsam neue Wege gehen.

Dialog statt Fachzirkel

Was die Veranstaltung besonders machte, war das offene Format.
Die Publikumsdiskussion war keine Anhängsel, sondern Herzstück der Veranstaltung.

Diese Vielstimmigkeit zeigte, was den Andersberater-Ansatz ausmacht: Dialog über Disziplinen hinweg.
Nicht jammern, sondern gestalten. Nicht nur analysieren, sondern handeln.

Für uns als Andersberater Berlin war diese Runde ein weiterer Schritt auf unserem Weg, Architektur, Unternehmertum und gesellschaftliche Verantwortung miteinander zu verbinden.

Zukunftsbilder: Wie wir morgen wohnen könnten

Am Ende stand die Frage: Wie könnte das Wohnen in 20 Jahren aussehen, wenn wir heute mutig handeln?

Die Visionen waren vielfältig:

  • Gebäude als wandelbare Systeme, die sich an Lebensphasen anpassen.
  • Quartiere, die Energie, Wasser und Flächen teilen.
  • Mischformen von Wohnen und Arbeiten, die Mobilität reduzieren und Gemeinschaft fördern.
  • Digitale Zwillinge von Städten, die Beteiligung erleichtern.

Diese Zukunftsbilder zeigen: Die Lösungen liegen nicht in ferner Utopie – sie entstehen bereits heute, in Reallaboren, Start-ups und engagierten Architekturbüros. Was fehlt, sind Strukturen, die diesen Wandel ermöglichen, aber das richtige Mindset bei Gesetzgeber und Verwaltung.

Radikal denken, real handeln

Der diesjährige Summit zeigte auf, wie weit wir noch von wirksamen Lösungen entfernt sind, machte aber auch Mut.
Er zeigte, dass die Energie für Veränderung vorhanden ist – in der Architektur, in der Gründerszene, in der Gesellschaft. Doch Veränderung braucht Räume: rechtliche, geistige und physische.

Wenn wir sie schaffen, kann aus der Wohnkrise ein Aufbruch werden.
Eine Bewegung, die das Bauen wieder zu dem macht, was es einmal war: ein kultureller, sozialer und menschlicher Akt.

Oder, um mit den Worten eines Teilnehmers zu schließen:

„Revolution heißt nicht Chaos. Revolution heißt, Verantwortung zu übernehmen – für das, was wir bauen und was wir hinterlassen.“ Die >> „Zukunftswerkstatt Planen und Bauen“ der ANDERSBERATER:INNEN unterstützt Architekt:innen dabei, auch die eigene Zukunft selbstverantwortlich zu gestalten.

Carsten Hokema